Schlehengasse 15 – Lorenzer Altstadt – Nürnberg 90402
Gesamtsanierung, Fassadenfreilegung Fachwerk und Hofgalerien
Baujahr: 1498 / 1820 – Sanierung: 1981-1986
zweite Einweihung eines der sehenswertesten alten Häuser Nürnbergs
1498, sechs Jahre nach der Entdeckung Amerikas, als Dürer gerade seine Apokalypse herausgab, entstand in der Nürnberger Schlehengasse beim Deutschen Hof in der Pfarrei St. Lorenz das Rückgebäude eines Bäckeranwesens. 1983/86 retteten, sicherten und restaurierten die Altstadtfreunde dieses hinfällige Haus mit sehr viel Liebe und noch mehr Opfern. Jetzt können hier weitere Generationen wieder Unterkunft und Geborgenheit finden. – Einladungskarte Altstadtfreunde Nürnberg e.V., 10.04.1986
Es ist mir eine große Ehre als Künstlerin in diesen mehr als 500 Jahre alten Mauern tätig zu sein und die wunderbaren Räumlichkeiten des Fachwerkhauses im Herzen der Nürnberger Altstadt seit 2021 als Galerie und Atelier zu nutzen. Das exquisite Detail an diesem Ort wird nicht nur wegen der beeindruckenden mittelalterlichen Architektur mit einer ausgewogenen Mischung aus Sandsteinwänden und Holzbalken, die einen beeindruckenden Kontrast zu meinen zeitgenössischen Kunstwerken bewirken, hervorgerufen, sondern auch weil der Meister Dürer zur Zeit des Hausbaus gelebt hatte und somit als Glücksbringer für das Atelier gilt. Wer weiß, vielleicht hat er dieses Haus auch mal besucht?
Es ist ein unbeschreiblich tolles Gefühl hier zu arbeiten und meine Kunst zu präsentieren. Als großer Fan von Fachwerkhäusern und dem Zentrum von Nürnberg hat sich einer meiner Lebensträume somit erfüllt. Die Räumlichkeiten im Erdgeschoss habe ich vom renommierten und einzigartigen Künstler Rudolf Rieß (1935-2020 Nürnberg), einem der letzten Xylographen Deutschlands, geerbt. Vielen Dank an die Altstadtfreunde Nürnberg e.V. für diese Möglichkeit und die freundliche Unterstützung.
Bilder: Archiv Altstadtfreunde Nürnberg e.V. / folgende Text: Nürnberger Altstadtberichte Nr. 12 1987 und Nr. 39 2014
Das Haus
Das im Kern 1498 datierte, ehemalige Handwerkerhaus besteht aus einem Erd- und Zwischengeschoss aus Sandstein und den zwei Obergeschossen von 1820 aus Fachwerk.
1981 kauften die Altstadtfreunde das sehr heruntergekommene, aber im Gegensatz zu den Nachbarhäusern noch wenig veränderte Rückgebäude des kriegszerstörten, ehemaligen Bäckeranwesens Ludwigstraße 56. Die Lage in unmittelbarer Nähe des zweitwichtigsten Innenstadt- U-Bahnhofs ließ eine Ausweitung des Geschäftslebens und damit auf längere Sicht auch eine Gefährdung des seltenen alten Baubestands dieses Hauses und seines Innenhofs erwarten.
Nach der Freilegung des Fachwerks der Straßenfront 1982 wurde von 1984-1986 eine eingehend vorbereitete, und an den hohen denkmalpflegerischen Ansprüchen ausgerichtete, mit enormen Kosten verbundene Gesamtsanierung durchgeführt. Zu denkmalpflegerisch, denn einige historische Balken mussten später wegen nachgebender Tragfähigkeit doch noch ausgetauscht werden.
Ein Blick zurück in die Geschichte
Bereits die ersten Nachforschungen brachten wichtige Ergebnisse. Das Haus Schlehengasse 15 gehörte als Rückgebäude zum Anwesen Ludwigstraße 56 und war mit diesem bis zum Verkauf an die Altstadtfreunde stets unter dem gleichen Besitzer vereinigt. 1797 ging hier der Bäcker Elling seinem Handwerk nach, dann folgte von etwa 1820 bis 1961 die Bäcker- und Müllerfamilie Fehn. Die Bäckerei bestand bis zum ersten Weltkrieg; dabei befand sich die Backstube stets im Rückgebäude an der Schlehengasse (erst nach 1945 ließ der damalige Besitzer den alten Backofen im Erdgeschoß herausreißen). Im Krieg wurde das Vorderhaus zerstört und nach 1950 in neuer Form wieder aufgebaut, während das Rückgebäude unbeschädigt blieb.
Baustruktur
Ein Akt über Bauveränderungen im Jahr 1820 berichtet, daß der Bäckermeister Johann Wolfgang Fehn „in die Notlage versetzt [war], die Vorderfassade seines Hintergebäudes, das in die Schlehengasse geht, ganz abzutragen und fast neu aufführen zu lassen, indem alle Balken ganz vermorscht und verfault waren“.
Diese Reparatur prägt heute noch entscheidend das straßenseitige Gesicht des Hauses. Als die Altstadtfreunde 1982 in Eigenarbeit die Fassade vom Putz befreiten , entdeckten sie in den beiden unteren Geschossen massives Sandsteinmauerwerk, in den zwei darüberliegenden Stockwerken jedoch jüngeres regelmäßiges Fachwerk mit fünf Fensterachsen – das Ergebnis des Umbaus von 1820. Die Hofseite zeigte dagegen die ganze Trostlosigkeit einer von Ausflickungen und Notreparaturen deformierten, größtenteils unverputzten alten Fachwerkfassade mit Resten auskragender Brettergalerien.
Im Inneren wies das Haus über dem Erdgeschoß als Besonderheit ein nur 1,70 m hohes Zwischengeschoß und dann zwei normale Obergeschosse auf. Den Abschluß bildete ein unausgebautes Kehlbalkendach mit mehreren großen und kleinen Dachrutschen. Zusammen mit den beiden Neubauten Ludwigstraße 56 und 58 umschließt das Haus einen kleinen Innenhof. Der Zugang zu den Wohnungen führte durch einen schmalen dunklen Hausgang zu einem baufälligen Treppenturm, der in diesen Innenhof hin eingebaut war.
Als unserem Büro 1984 die Architektenleistungen für die Sanierung übertragen wurden , hatten die Altstadtfreunde schon mehrere Stockwerke vom Gerümpel befreit und mit der vorsichtigen Freilegung von Wänden und Spunddecken begonnen. Der Dachboden war geräumt und viele Kleinfunde, die hinter Wandverkleidungen und aus Fußbodenfüllungen geborgen wurden, gaben ein lebendiges Bild vom Alltagsleben vergangener Zeiten. Die freigelegten Bauteile ließen ahnen, wieviel an originaler Bausubstanz noch erhalten war, legten aber auch die Bauschäden schonungslos offen.
Die Bauvorbereitungen
Wie in der Medizin vor der Behandlung stets die Diagnose steht, so ist es auch im Umgang mit historischer Bausubstanz: Das zu sanierende Gebäude muß vor jedem Eingriff genau bekannt sein, um seine Konstruktion zu verstehen, Bauphasen abzugrenzen, die bau- und kunstgeschichtliche Bedeutung zu erfassen und Beurteilungskriterien für die Verträglichkeit der geplanten Änderungen zu erhalten.
Verformungsgerechtes Aufmaß
Der erste Schritt der Diagnose war ein von Dipl.-Ing. Wolfgang Albert ausgeführtes verformungsgerechtes Aufmaß. Eine derartige Maßnahme ist nicht mit einer üblichen Ausmessung zu vergleichen, sondern sie soll zentimetergenau alle Bauteile in ihrer vorgefundenen Lage (also unter Berücksichtigung etwaiger Durchbiegungen, Schwächungen usw.) im Plan festhalten. Dazu wurden durch das ganze Haus mittels gespannter Schnüre waagrechte und senkrechte Maßebenen gelegt und alle Raurnpunkte hierauf ein gemessen. Gleichzeitig wurden die Bauteile auf Material, originale Verwendung und sichtbaren Schaden untersucht und auch dies im Plan eingetragen. Diese wochenlange akribische und oft sogar detektivische Arbeit lieferte entscheidende Erkenntnisse über Konstruktion, Bauphasen, Verformungen und Ausbesserungen und bildete die wichtigste Grundlage für alle weiteren Planungen.
Dendrochronologie
Um das Alter des Hauses sowie die Umbauphasen zeitlich festlegen zu können, erwies sich eine dendrochronologische Untersuchung als nötig. Hierzu wurden an ausgesuchten Holzteilen Bohrkerne mittels Hohlraumbohrer entnommen und durch das Planungsbüro H. Tisje (NeuIsenburg) aus dem Wachstumsdiagramm der Jahresringe die Fällungsdaten der verwendeten Bäume bestimmt. Die frühesten Werte lassen auf 1498 als Baujahr des Hauses schließen.
Restauratorische Untersuchung
Wer die Arbeit des Restaurators Peter Wolf beobachtete, der mit Skalpell, Pinselchen und Glashaarradierer Farbschicht um Farbschicht an Fachwerkteilen, Spunddecken und Putzflächen untersuchte, die Befundstellen mit Orientierungsnummern versah und dann alles dokumentierte, der mochte zuerst verwundert über diesen Aufwand den Kopf schütteln. Aber jede Generation hatte in dem Haus Spuren hinterlassen, die gleich Jahresringen den Bauteilen angelagert waren. Anhand von Sondierungen, vorsichtigen Öffnungen und makroskopischen Untersuchungen hielt der Restaurator Putz- und Farbschichten in ihrer Aufeinanderfolge fest, so daß nicht nur eine Vorstellung von Ausstattung und Farbgebung der Räume entstand, sondern auch Erkenntnisse über das Baugeschehen ergänzt oder gesichert werden konnten.
Für diese Tätigkeit war natürlich die unberührte Bausubstanz die wichtigste Voraussetzung. Da gab es anfangs Mißverständnisse: Der Forschungsdrang der Altstadtfreunde bei der Freilegung historischer Bauteile rief mehrmals den Unmut des wissenschaftlich arbeitenden Restaurators hervor, so daß ein Ausgleich der beiderseitigen Motivationen nötig war. Am Ende der Untersuchung lag ein dicker Akt auf dem Tisch, der ein umfassendes Bild der Ausgestaltung des Hauses in den verschiedenen Zeitepochen bietet.
Die Umsetzung der Theorie in die Praxis
Nach der Phase der wissenschaftlichen Diagnose mußten die gewonnenen Erkenntnisse in ein Sanierungs- und Entwurfskonzept umgesetzt werden.
Das verformungsgerechte Aufmaß, insbesondere Längs- und Querschnitt des Hauses, lieferte die wichtigsten Unterlagen beim Aufspüren statischer und konstruktiver Mängel und Gefahren: Hier waren alle Verformungen des Hauses deutlich ablesbar.
Ihre Ursachen lagen auf der Hand: Die Mitteltragwand war geschoßweise versetzt, stand also in den einzelnen Stockwerken nicht genau übereinander. Zwischenwände lasteten auf viel zu schwach bemessenen Deckenbalken, so daß sich diese bis zur vollen Balkenhöhe durchgebogen hatten. Sehwellhölzer waren abgekippt, und die darauf aufgesetzten Fachwerkwände neigten sich bedrohlich. Unter allen tragenden Bauteilen fehlten entsprechende Fundamente. Durchfeuchtete, abgemorschte Fußpunkte der großen Fachwerkpfosten sowie die Unterminierung der Hoffassade durch die Fäkaliengrube hatten das Gebäude in Hausmitte einsinken lassen. Das Gefüge des Dachstuhls war als Folge hiervon empfindlich gestört: Die überlasteten Verbindungspunkte von Sparren, Kehlbalken und Deckenbalken waren in Gefahr, sich voneinander zu lösen.
Mit welcher Unbefangenheit unsere Vorfahren beim Umbau ihrer Häuser zu Werke gegangen waren , zeigte besonders deutlich die Maßaufnahme der Hoffassade: Ein konstruktives Durcheinander abgesägter und versetzter Pfosten, fehlender Streben und unterbrochener Riegel ließ den Eindruck eines kurz vor dem Einsturz stehenden Kartenhauses aufkommen. Andererseits aber erleichterte die penible Maßaufnahme auch die Rekonstruktion: Die vielen fehlenden Fachwerkteile hatten ihre Spuren in Aussparungen (für die Blattverbindungen), Zapfenlöchern und Balkenresten hinterlassen, so daß es keine schwierige Aufgabe mehr war, das ursprüngliche eindrucksvolle Holzgefüge im Fassaden plan wieder zu vervollständigen.
Das statische Sanierungskonzept
Der Statiker Karl Schmidt sichtete das riesige Bündel konstruktiver Schwachstellen, und wir entwickelten gemeinsam ein Konzept für die statische Sicherung des Hauses.
Durch die Rekonstruktion der hofseitigen Fachwerkfassade mit Hilfe des Aufmaßplans, durch Einbringen von Fundamenten und einer waagrechten Feuchtigkeitssperre, durch behutsames Einfügen neuer mittragender Elemente wie Holzstützen , Beihölzer und unsichtbarer Stahlverstärkungen sollte das Gebäude in seinem statischen Gefüge stabilisiert werden , ohne daß in die bereits eingetretenen Verformungen eingegriffen werden mußte.
Lediglich derTreppenturm, der erst nachträglich ohne konstruktive Verbindung zum Gebäude angesetzt worden war, zeigte sich als so baufällig, daß er abgebrochen und in gleicher Form wieder aufgebaut werden sollte.
Die Nutzung
Es bestand frühzeitig Einigkeit, daß in dem ehemaligen Handwerkerhaus Wohnen und Arbeiten wieder Platz finden sollten. Im Erdgeschoß wurde eine kleine Werkstatt mit Laden eingeplant. Kopfzerbrechen bereitete die geringe Höhe des Zwischengeschosses, die weder eine gewerbliche noch eine Wohnnutzung zuließ. So entstand der Vorschlag, diese von Umbauten weitgehend verschonten Räume mit Bohlenwänden, Spunddecken und Sandsteinnischen in ihrer Unberührtheit zu belassen und als Lager für die Altstadtfreunde zu verwenden. In den beiden eigentlichen Obergeschossen und auch im Dachgeschoß sollten Wohnungen entstehen. Der Ausbau des Dachgeschosses schien unumgänglich, da die zu erwartenden Sanierungskosten und die mögliche Nutzung des Hauses sonst in keinem vertretbaren Verhältnis zueinander gestanden hätten . Die Entscheidung, die natürlich bauliche Veränderungen des bestehenden Daches zur Folge haben mußte, wurde nach eingehenden Gesprächen auch von der Denkmalpflege mitgetragen.
Die Grundrißplanung
Die bis zu diesem Zeitpunkt gesammelten Informationen lieferten ein klares Bild von der Grundrißkonzeption des alten Hauses: Alle Räume gruppierten sich um einen mächtigen Kamin, der sich mit seitlichen Verschiebungen von Stockwerk zu Stockwerk durch das Haus schlängelte. Die zentrale Lage zeigte seine Bedeutung: Hier befanden sich früher die Kachelöfen und Kochstellen, hier mußte der Mittelpunkt der Wohnung gewesen sein. Eine Stube und ein oder zwei Kammern waren straßenseitig, Küche und einige Nebenräume hofseitig angelagert.
Von dieser Aufteilung ging auch unsere Planung aus. Mittelpunkt sollte der Kachelofen bleiben , der als Wärmequelle für die ganze Wohnung dienen konnte. Wohnraum, Wohnküche und Diele gruppieren sich als ineinanderfließende Räume, also ohne trennende Türen, um ihn herum. Die notwendige Helligkeit und Transparenz wurde durch Herausnehmen einiger Gefache aus den Fachwerk-Zwischenwänden geschaffen. Dagegen sollte der Schlafraum ein abgetrenntes kühles Zimmer bleiben. Küche und Bad (letzteres durch einen Garderoben-Vorraum zugänglich) wurden an die Giebelmauern gerückt, weil so sämtliche Installationsleitungen an diesen beiden Wänden hochgeführt werden konnten und das alte Hausgefüge am wenigsten störten.
Nach gleichem Grundrißkonzept wurde im Dach- und Kehlbalkengeschoß eine Maisonette-Wohnung eingeplant. Dies war nur möglich, wenn für ausreichende Belichtung gesorgt werden konnte. Der Einbau eines größeren Erkers zwischen den seitlichen Schleppgauben schien auch im Hinblick auf die bereits bestehenden Dachlandschaften in der Schlehengasse eine Lösung und Bereicherung zu sein. Dafür standen Teile eines alten Erkers aus städtischen Bergungsbeständen zur Verfügung. Um die Zustimmung der Denkmalpflege zu erhalten, wurde eine sehr sorgfältig proportionierte und detaillierte Ergänzung dieses Dacherkers planerisch erarbeitet.
Zum Ausbau des Dachgeschosses wählten wir den ungewöhnlichen Weg, die Wärmedämmung des Daches den Sparren erst außen aufzulegen. Dadurch konnten im Rauminnern die Balken des alten Dachstuhls mit ihren Blattverbindungen vollständig sichtbar bleiben. Im Außenbild wurde darauf geachtet, die bewegte Form des eingesunkenen Dachs zu erhalten und nicht durch die Isolierung auszugleichen.
Bei der Festlegung der Wohnungszugänge half wieder der Aufmaßplan: Er zeigte, daß die zuletzt vom Treppenturm aus bestehenden Eingänge erst nachträglich durch Herausnahme von Riegeln und Streben der Außenwand geschaffen worden waren . Da Hinweise auf eine Innentreppe bei der Bestandsaufnahme nicht auftauchten, dürfte die ursprüngliche Erschließung wohl über die hölzernen Gänge vom Vorderhaus her erfolgt sein. Es wurde daher beschlossen , jetzt erneut die vom Treppenturm aus zugänglichen Hofgalerien als Zugang zu den Wohnungen im 1. und 2. Obergeschoß zu nutzen. Erst dadurch konnte auch das Bad in seine günstige Randlage gerückt werden.
Eine historische Dachlandschaft
Wie in Heft 8 der Altstadtberichte dargelegt, wiesen alte Fotos einige Besonderheiten auf dem Dach des Hauses nach. So waren die seitlichen Giebelmauern treppenförmig zum First geführt und endeten hier in einer Art kleiner Türmchen, den „Giebelmännchen“. In Firstmitte des Hauses befand sich ein aufklappbarer Holzverschlag, von dem aus man das Dach überblicken und notfalls Schlotbrände löschen konnte. Neben diesem „Gutzloch“ ragte der mächtige Kamin aus dem Dach, der mit einer „fränkischen Haube“ aus schräg aufgestellten und vermörtelten Dachziegeln abgedeckt war.
Diese charakteristischen Einzelheiten der vielfältigen Nürnberger Dachgestaltung wurden mit großer Sorgfalt unter Auswertung alter Fotografien und in enger Fühlung mit den Altstadtfreunden zeichnerisch rekonstruiert und für die Wiederherstellung vorbereitet.
Raumbuch und Kostenschätzung
Der Bogen von derTheorie zur Praxis war nun gespannt. Wissenschaftliche Untersuchungen hatten Klarheit über Bestand und baugeschichtliche Bedeutung verschafft, und planerisch war daraus ein Sanierungsund Nutzungskonzept abgeleitet worden. Nun mußte für die eigentliche Bauausführung eineArt Drehbuch verfaßt werden. In diesem sogenannten „Raumbuch“ wurden Raum für Raum alle Bauteile aufgelistet, Befundstellen und deren Sicherung beschrieben und die Baudurchführung (wie Bauteilaustausch, Bauteilreparatur, Eingriffe in Oberflächen, Herstellung neuer Bauteile) festgelegt. Dies war notwendig, um eine fundierte Grundlage für die Kostenschätzung und Kalkulation zu haben. Es konnten nunmehr auch Massen, statische Reparaturen, Sicherungsmaßnahmen und ähnliches in die Kostenanalyse einfließen, so daß unliebsame Überraschungen nicht mehr zu erwarten waren.
Die Baudurchführung
Während bei der Ausführung eines Neubaus beinahe jede einzelne Schraube schon im Plan festgelegt ist, erfordert die Sanierung eines Baudenkmals ein tägliches Zusammenwirken von Architekt, Statiker, Bauleiter und Handwerker. Es ist von großer Wichtigkeit, Mitstreiter bei den dauernd neu auftauchenden Problemen zu haben , denn man lebt sozusagen von der Hand in den Mund. So werden immer wieder neue Schwachstellen und Detailpunkte aufgedeckt, die begutachtet, beurteilt und entschieden werden müssen.
Bei der Durchführung von Reparaturen wollten wir bewußt Mut zum Versuch zeigen. So wurde das Dach mit ausgemusterten Ziegeln vom Schloß Kornburg gedeckt, um das lebendige Farbspektrum eines gealterten Daches und nicht eine neue Dachfläche zu erhalten. Die buckligen handgestrichenen Ziegel forderten dem Dachdecker Geduld und Können ab; ihr Zustand bewies aber auch, daß solches historisches Baumaterial langlebiger als moderner Ersatz sein kann.
Nach Rezepturen, die uns das Landesamt für Denkmalpflege überlie., bekam die hofseitige Fachwerkfassade auf Kalkputz einen Kalkkaseinanstrich al fresco. Es wurde atso der Kalkanstrich in den noch nassen Verputz aufgetragen, so daß Anstrich und Putz eine verkieselte harte Oberfläche bildeten. Für die farbige Fassung der Fachwerkhölzer wurde nach Befunden des Restaurators eine rote Kasein-Emulsion mit natürlichen Farbpigmenten verwendet. Diese Kasein-Emulsionen entsprachen etwa den alten Topfen- bzw. Quarkfarben (Kasein ist der Gerinnungsstoff in der Milch). Der rote Anstrich wurde über die Holzteile ins Gefach hineingezogen und mit einem schwarzen Beistrich abliniert. Mit einem solchen etwas plakativen Verfahren wollte man früher dem Fachwerk ein kraftvolleres und stabileres Aussehen geben.
Besondere Wichtigkeit maßen wir einem materialgerechten und materialverträglichen Vorgehen bei, um die bauphysikalisch weitgehend intakten Konstruktionen nicht zu beeinträchtigen. Als Beispiel soll die Sanierung der Fachwerkaußenwände dienen: Da die Stroh-Lehm-Geflechte weitgehend herausgebrochen waren, wurden die Gefache mit einem porösen Ziegelmauerwerk gefüllt und raumseitig mit HolzwolleLeichtbauplatten verkleidet, um die Wärmedämmung zu verbessern. Kunststoffe kamen dabei grundsätzlich nirgends zur Verwendung. Mörtel und Verputz wurden offenporig und porös gewählt, so daß durch einen gleichmäßigen Wärmedurchgang kein Tauwasser im Innern der Konstruktion die Holzteile schädigen kann. Um den Innenputz geschmeidiger zu machen, wurde er mit Sumpfkalk angesetzt und mit Schweinsborsten angereichert. Diese „Armierung“ befähigt den porösen Putz, den Bewegungen des Holzes besser standzuhalten.
Auch die Ausführung der komplizierten alten Holzverbindungen erforderte hohes handwerkliches Können und war nur von besten Fachkrähen zu leisten. Aber unsere Aufmerksamkeit galt ebenso dem kleinen Detail. Zum Beispiel wurde das durchbrochene Maßwerk in der Erkerbrüstung nicht hintermauert, sondern mit einer Glasscheibe abgeschlossen, so daß sich vom Innenraum aus ein reizvoller, den früheren Verhältnissen ähnlicher Durchblick ergibt. Ein Stockwerk tiefer verbarg sich unter dickem Anstrich eine klassizistische Stuckdekoration, deren Hauptteil mit vieler Mühe trotz Reparatur der Decke gerettet werden konnte. Aus der selben Zeit stammt wohl ein Füllungsfeld der Haustüre mit einer holzgeschnitzten Blätterraute, das die Altstadtfreunde auf dem Dachboden des nahegelegenen Hauses Mostgasse 8 entdeckt und dem Besitzer abgekauft hatten. Mit derselben Sorgfalt wurden neue Teile gestaltet. So ließen wir die Griffoliven für die Fenster nach alten Mustern gießen , um Harmonie zwischen dem Maßstab der Fenster und dem Beschlag zu erzielen. Für die Allgemeinbeleuchtung des Hauses wurden bleiverglaste Lampen gewählt, die durch ihre schlichte neuzeitliche Gestaltung sich in das Bild des historischen Handwerkerhauses überzeugend einfügten.
Dach
Die gesamte Dachfläche mit alten Ziegeln eingedeckt; der Helligkeitssprung in der Mitte durch die Herkunft von zwei verschiedenen Häusern verursacht. Beide Brandmauern von ihrer Blechabdeckung befreit und in der alten abgetreppten Form wiederhergestellt. An ihren oberen Enden die „Giebelmännlein“ rekonstruiert, ebenso wie etwa in der Mitte des Firsts das aufklappbare „Gutzloch„. Der dahinter hervortretende Schlot mit einer fachgerecht ausgeführten „Fränkischen Haube“ überdeckt.
Hof
Eines der ganz wenigen erhaltenen Beispiele der bis zum Erdboden herunterreichenden frühen Nürnberger Voll-Fachwerk-Bauweise. Dabei Erdgeschoß und Zwischengeschoß durch ungewöhnlich hohe Pfosten (zum Teil mit Doppelstreben) zusammengefaßt. Die erst darüber ansetzende zweistöckige Holzgalerie bei der Sanierung vervollständigt und wegen ihres baufälligen Zustands weitgehend erneuert. Der links gerade noch angeschnittene jüngere Treppenturm als einziger Teil des Hauses abgebrochen und in derselben Form neu errichtet.
Die Fachwerkfelder der Hauswand mit Sumpfkalkputz alter Art beworfen und noch in nassem Zustand mit Kalkfarbe gestrichen. Die Balken nach Befund in mattrotem Ton gehalten (wobei ein schmaler Farbstreifen und der schwarze Begleitstrich auf die Putzflächen übergreifen). Für den Holzanstrich versuchsweise eine den früheren Quarkfarben entsprechende Kaseinfarbe verwendet.
Wohnen in einem Baudenkmal
Die Sanierung und Restaurierung eines denkmalgeschützten Wohnhauses ist eine Gratwanderung zwischen uneingeschränktem Sichern des Bestands und Zugeständnissen an die Erfordernisse heutigen Wohnens. Ohne Sanitärzelle und bequeme Heizung wird man in keinem Baudenkmal mehr auskommen , wenn man es nicht rein museal jeder Benutzbarkeit entziehen will. Andererseits ist es aber auch durch tiefere Eingriffe nicht zum repräsentativen Traum-Wohnobjekt zu machen, mit dem man seinen guten Geschmack zur Schau stellen kann. Es ist und bleibt ein altes Haus, in dem die Balken federn und knacken, da und dort etwas Sand aus den Decken rieselt, manchmal Ritzen und Risse durch die Bewegung des Holzes aufreißen und wo statt DIN-gerechtem Wärmeschutz der Luftzug am Fenster auch einmal mit der guten alten Fensterrolle behoben werden muß.
Wer dies weiß und trotzdem gern in einem alten Haus wohnt, in das die Spuren der Geschichte hineingeschrieben sind , wer ein Gespür für Licht und Dunkel , für Proportionen und Raumzuschnitte besitzt, der wird aber bald auch fühlen , wieviel Sinn für wirkliche Kultur des Wohnens unsere alten Baumeister gehabt haben.